
Als das Evangelische Gemeindezentrum Plötzensee am 28. November 1970 eingeweiht wurde, war es noch eine halbe Baustelle: Das Geld für die Bauarbeiten war knapp, die Firma, die sie hauptsächlich verantwortete, mitten im Bauprozess pleitegegangen. Nicht einmal zwei Monate später brütete der Bauauschuss der Kirchengemeinde in seiner Sitzung schon über einer fünfseitigen Mängelliste. "Ohne Anspruch auf Vollständigkeit", vermerkte Bringfried Naumann, der erste Pfarrer der Gemeinde und Vater des Charlottenburg-Wilmersdorfer Bezirksbürgermeisters Reinhard Naumann.
Diese Anekdote und viele interessante Geschichten über das Gemeindezentrum in Charlottenburg-Nord sind in einer Sonderausgabe der Gemeindezeitschrift "Brückenschlag" zum Jubiläum erschienen: Im November feiert das Gemeindezentrum Plötzensee seinen 50. Geburtstag.
Neben ihrer besonderen Form - in der Mitte Gedenkirche Plötzensee steht der Altar, die Kirchbänke wie ein viereckiger Rahmen herum - ist die Kirche vor allem für ein Kunstwerk weit über Berlin hinaus bekannt.Der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka (1928–2009) fertigte Ende der 1960er Jahre im Auftrag der Gemeinde 16 Tafeln mit überlebensgroße Graphitzeichnungen an, die an den Wänden der Kirche zu sehen sind. Darauf setzte er biblische Geschichte, Gegenwart und die im Gemeindegebiet liegende ehemalige NS-Hinrichtungsstätte Plötzensee in Beziehung und verwies damit auf die Bedrohung der Menschen durch Gewalt, Macht und Willkür. In der Kunstgeschichte gilt es als die erste Totentanzdarstellung im Hauptraum einer Kirche.
Zum 50. Geburtstag ist dieses Kunstwerk nun in der Gedenkkirche auch zu hören: In einem musikalischen Gottesdienst am Donnerstag, 26. November 2020, 18.30 Uhr spielt Friedemann Graef (Saxofon) mit Albrecht Riermeier (Marimbaphon und Percussion) seine Komposition "Plötzenseer Totentanz" (2010). Die Schauspielerin Charlotta Bjelfvenstam liest die biblischen Texte zu den Totentanz-Tafeln.
Am Samstag, 28. November 2020, 17 Uhr findet ein Jubiläumsgottesdienst mit Bischof Dr. Christian Stäblein und Musikerinnen und Musikern des Wolf-Ferrari-Ensembles statt. Eine Teilnahme an beiden Veranstaltungen ist nur mit Anmeldung unter Telefon 030 381 34 79 oder online auf www-charlottenburg-nord.de möglich.
Die Geschichte des Gemeindezentrums ist eng mit der des Stadtteils verbunden: In den 1950er Jahren entstanden am Rande der Jungfernheide neue Wohngebiete. Das Gemeindezentrum Nord an der Toeplerstraße und die 1964 errichtete Sühne-Christi-Kirche reichten für den Zuzug schnell nicht mehr aus. So baute die Kirchengemeinde Charlottenburg-Nord ein zweites Gemeindezentrum: "Plötzensee" entstand unweit der gleichnamigen Gedenkstätte - inmitten der Paul-Hertz-Siedlung, deren Straßen die Namen der Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus tragen. Auch heute ist die Gedenkarbeit einer der Schwerpunkte der Gemeinde - ebenso wie die Ökumene: Da die Gedenkkirche Plötzensee keinen eigenen Kirchturm hat, nutzt sie in guter Nachbarschaft die Glocken der angrenzenden katholischen Gedenkkirche Maria Regina Martyrum.
Tipp

Ein neu erschienener Kunstführer stellt sowohl die Gedenkkirche Plötzensee als auch die Sühne-Christi-Kirche mit ihrer Architektur, Geschichte und Kunstwerken vor.
Er ist im Verlag Schnell & Steiner erschienen und für 3 Euro erhältlich. Mehr Informationen darüber finden Sie hier.